Logbuch der Lendermannen – Dragodem
Da den beiden Gefährten aus dem kleinen Starkadsund der Name von Hjassir Fjoreson und dem roten Stier immer wieder zugetragen wurde, suchten sie ihn auf und schlossen sich im nächsten Frühjahr dem Roten Stier bei seiner Fahrt in das Land Dragodem an. Dort sollten sie dem Landesfürst, Lord Nimrod, wieder zu seinem von Orks besetztem Land zu verhelfen. Lord Nimrod hatte reichen Sold versprochen.
Als sie in diesem kleinen Fürstentum, das es ja, im Licht der Wahrheit betrachtet, noch gar nicht gab, ankamen, sahen sie Herdur, den Baumeister, der an dem wuchtigen Tor einer Lagerbefestigung zimmerte. Hjassir nahm die beiden Gefährten gern in seine Dienste und stellte sie den anderen Nordleuten vor. Besonders fiel ihnen in der Kämpfergruppe ein recht zerlumpt aussehender älterer Mann auf, der als Rüstung ein Wildschweinfell trug und oft in der einen Hand einen Becher Schnaps und in der anderen ein Schwert hielt. „Wenn dieser Ahasver mit Schnaps und Schwert so alt geworden ist, muss er viel Glück haben“, meinte David Sveranson. Dann fügte er listig lächelnd hinzu: „An den halten wir uns, da fällt für uns außer Schnaps vielleicht noch mehr ab!“
Doch Leif-Erik taugte zu dieser Zeit nicht viel als Kämpfer, denn er hatte sich beim übermütigen Ringen mit einem Walross den guten rechten Arm verletzt. Um nicht völlig nutzlos herumzustehen während die anderen fochten beschloss er bei Aldifreida, der Heilerin des Roten Stiers, zu lernen wie man Wunden näht und fand dieses Wissen sehr nützlich und gewinnbringend. Er nähte zwar nicht besser, als ein dahergelaufener Schuster, aber er wurde für seine Künste bezahlt. Er hatte auch gelernt, dass eine Wunde besser heilt, wenn der Heiler gut bezahlt wird. Von Aldifreida wollte er noch mehr lernen.
Dieser Ahasver allerdings war schon eine seltsame Gestalt. Immer wieder war er in Begleitung eines Elben, der sich Rangdor nannte, zu sehen. Eigentlich hatte er ihn erschlagen wollen, verschonte ihn aber gegen das Versprechen, dass der Elb ihm jeden Morgen einen braunen Trank bringen wollte, den der alte Nordmann zum Wachwerden brauchte.
Ahasver erzählte, dass er einst ein reicher Händler gewesen sei, der so weit im Süden und im Osten gewesen sei, wie niemals zuvor ein Nordmann. Seinen reichen Silberschatz habe er auf der Flucht aus den Südlanden vergraben und nur sein reich verziertes Festgewand gerettet. Leif-Erik und David hatten zwar schon mehr Lügengeschichten gehört, aber der ferne Geruch von viel Silber ging ihnen trotzdem nicht aus der Nase.
Als nach einem heldenhaften, aber erfolglosen, Sturm auf das Orklager Hjassir in die Gefangenschaft der Orks geriet und, außer Herdur und Ahasver, alle Nordleute verletzt im Lager auf ihren Fellen lagen, kam die Stunde des alten Ahasver. Er beobachtete zusammen mit Herdur, wie ein Ork ihrem Soldherren, Lord Nimrod, der bereits die Hälfte des Soldes in Gold und Silber bezahlt hatte, den Hals abschnitt.
„Können wir nicht Lord Nimrod an die Orks verkaufen?“, meinte der alte Händler zu Herdur., „Jetzt wo wir nicht mehr in seinen Diensten stehen.“ „Na klar“, erwiderte dieser, „die bekommen seine Leiche und wir bekommen Hjassir und unsere Gefangenen zurück!“ Gesagt, getan! Der Gefolgschaft des Lords machten die beiden Schlitzohren klar, dass sie als treue Söldner ihres Herrn, diesen in seinem angestammten Land bestatten würden. Dann nahmen sie die Leiche Nimrods auf und trugen sie zum Orklager.
Als aber die edle Gefolgschaft merkte, dass ihnen an einer Wegbiegung bereits Orks entgegen kamen, um den Leichnam in Empfang zu nehmen, schrien sie laut „Verrat, Verrat!“ Daraufhin zog Ahasver sein Schwert. In der linken Hand hielt er jetzt einen Schild, den Schnapsbecher hatte er wohl im Lager gelassen. Drohend und laut brüllend stellte er sich der gesamten Gefolgschaft des edlen, aber toten, Nimrod entgegen. Leif-Erik fiel bei diesem Anblick vor Schreck in einen Graben. Hier würde der alte Ahasver gewiss seinen Tod finden. Als dieser aber nun auch noch brüllte: „Ich kann auch noch mehr Leichen an die Orks verkaufen. Nämlich Eure!“, ergriffen die edlen Gefolgsleute in scheppernder Rüstung die Flucht. Es war ein wirklich erstaunlicher und seltsamer Augenblick.
Nach diesem denkwürdigen Handel konnten sich Herdur und Ahasver die Gelegenheit nicht entgehen lassen, auch noch die prall gefüllte Kriegskasse des verstorbenen Lord aus dessen Prachtzelt mitgehen zu lassen. Hjassir grinste trotz seiner Verletzungen vor Freude über diesen unerwarteten Reichtum und bot sofort dem Nachfolger und Erben des Lord an, bei ihm erneut in Sold zu treten. Als dieser dann zerknirscht meinte, er könne aber nicht mehr so viel bezahlen, wie einst Lord Nimrod, da dessen Kriegskasse auf wundersame Weise verschwunden sie, konnte Hjassir sein lautes Lachen nicht mehr unterdrücken. Besonders bei Ahasvers todernstem Anblick, der meinte „dann zahl eben alles was Du hast!“
So wurde auch diese Fahrt der beiden Kämpfer aus dem kleinen Starkadsund zu einem unerwartet großen Erfolg. Noch nie hatten sie Gold gesehen. Jetzt aber hielten sie nach der Beuteverteilung, bei der Ahasver von Hjassir besonders reich belohnt wurde, jeder ein großes Goldstück in der Hand. Natürlich fragten sie jetzt Ahasver, dessen Glück, Suff oder unverfrorene Frechheit ihnen diesen Reichtum eingebracht hatte, ob er wieder zusammen mit dem Roten Stier auf Plünderfahrt gehen wolle. Der meinte, dass bei diesem Haufen wilder Nordleute wohl keine Langeweile aufkommen werde und stimmte zu.